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KERF-40-I
Belastende Kindheitserfahrungen (inklusive Zeitleisten)
Kurzabstract
Das KERF-40-I wurde ausgehend von der MACE Skala (Teicher & Parigger, 2015) und dem KERF- Interview (Isele et al., 2014) als strukturiertes Interview entwickelt, das zehn verschiedene Typen von belastenden Kindheitserfahrungen erfragt. Das Interview besteht aus einführenden Fragen und sechs Blöcken zur Erfassung von verschiedenen Typen von Belastungserfahrungen in der Kindheit mit insgesamt 40 Fragen und insgesamt 54 Items. Reliabilität: In einer kleinen Teilstichprobe von n = 14 untersuchten Personen wurde die Test-Retest-Reliabilität getestet. Der Summenwert der KERF-40+ („KERF-40+ Sum“) der Erstmessung korrelierte mit dem Wert der Zweitmessung mit Spearman’s Rho ρ =.88. Validität: Der Summenwert des Instruments (KERF-40+ Sum) korreliert mit dem CTQ zu r = .83.
Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID). (2022). Open Test Archive: KERF-40-I. Belastende Kindheitserfahrungen (inklusive Zeitleisten). Verfügbar unter: https://www.testarchiv.eu/de/test/9008437
Zitierung
Thekkumthala, D., Schauer, M., Ruf-Leuschner, M., Elbert, T., Seitz, K. I., Gerhardt, S., von Schroeder, C., & Schalinski, I. (2022). KERF-40-I. Belastende Kindheitserfahrungen (inklusive Zeitleisten) [Verfahrensdokumentation, Instrument, Auswertungsanleitung, Item-Skalenzugehörigkeit, Auswertungsbeispiel, Syntax und Datenbank]. In Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID) (Hrsg.), Open Test Archive. Trier: ZPID.
https://doi.org/10.23668/psycharchives.8151
Kurzinformationen
Kurzname KERF-40-I
Engl. Name Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure
Autoren Thekkumthala, D., Schauer, M., Ruf-Leuschner, M., Elbert, T., Seitz, K., Gerhardt, S., von Schroeder, C., & Schalinski, I.
Erscheinungsjahr im Testarchiv 2022
Copyright/Lizenz Copyright AutorInnen; CC-BY-SA 4.0
Schlagworte Kindesmissbrauchsanzeige; Kindesmisshandlung; Kindesvernachlässigung; Sexueller Missbrauch; Häusliche Gewalt; Körperliche Misshandlung; Emotionales Trauma; Frühkindliche Erfahrungen
Sprachversionen deu
Konstrukt Belastende Kindheitserfahrungen
Altersbereich ab dem vollendeten 18. Lebensjahr
Itemzahl 54 Items
Subskalen 1 Selbst erlebte emotionale, körperliche und sexuelle Gewalt durch Eltern oder Geschwister, 2 Selbst erlebte sexuelle Gewalt durch nicht im Haushalt lebende Erwachsene, 3 Bezeugte Gewalt der Eltern gegenüber den Geschwistern, 4 Bezeugte körperliche Gewalt zwischen den Eltern, 5 Selbst erlebte emotionale, körperliche oder sexuelle Gewalt durch Gleichaltrige oder Partner, 6 Körperliche und emotionale Vernachlässigung
Durchführungszeit ca. 20-60 Minuten
Auswertungsdauer ca. 10 Minuten
Test-Retest-Reliabilität: Der Summenwert der KERF-40+ („KERF-40+ Sum“) der Erstmessung korrelierte mit dem Wert der Zweitmessung mit Spearman’s Rho ρ =.88.
Hinweise zur konvergenten Validität.
Keine Normierung.
Anwendungsbereich Forschung; Praxis
Diagnostische Zielsetzung
Das KERF-40-I wurde ausgehend von der MACE Skala (Teicher & Parigger, 2015) und dem KERF- Interview (Isele et al., 2014) als strukturiertes Interview entwickelt, das zehn verschiedene Typen von belastenden Kindheitserfahrungen sowie das Alter zum Zeitpunkt der Exposition erhebt. Die Berücksichtigung von belastenden Kindheitserfahrungen ist im Zuge einer ausführlichen Psychodiagnostik/Traumaanamnese ratsam. Das KERF-40-I liefert umfangreiche Informationen zu derartigen Erlebnissen.
Aufbau
Das Interview besteht aus einführenden Fragen und sechs Blöcken zur Erfassung von verschiedenen Typen von Belastungserfahrungen in der Kindheit mit insgesamt 40 Fragen. Die Fragen beziehen sich auf Erlebnisse mit Eltern, anderen im Haushalt lebenden erwachsenen Bezugspersonen, Geschwistern, Gleichaltrigen und anderen nicht im Haushalt lebenden Erwachsenen. Insgesamt 14 Fragen werden separat in Bezug auf Erlebnisse mit unterschiedlichen Gruppen kodiert, sodass für die Konstruktion der Subskalen 54 Items zur Verfügung stehen.
Grundlagen und Konstruktion
Mittels inhaltlichen Zuweisungen der Items zu Subskalen konnten für die folgenden zehn Subtypen Raschmodelle identifiziert werden: Emotionale Gewalt durch Eltern, Körperliche Gewalt durch Eltern, Körperliche und emotionale Gewalt durch Geschwisterkinder, Emotionale Vernachlässigung, Körperliche Vernachlässigung, Bezeugte Gewalt zwischen Eltern, Bezeugte Gewalt an Geschwisterkinder, Körperliche und emotionale Gewalt durch Gleichaltrige, Sexuelle Gewalt durch im Haushalt lebende Personen und Sexuelle Gewalt durch andere, nicht im Haushalt lebende Personen. Jedem Typen von belastenden Kindheitserfahrungen wurden zwischen 4 bis 7 Items zugeordnet.
Empirische Prüfung und Gütekriterien
Reliabilität: In einer kleinen Teilstichprobe von n = 14 Probanden wurden Ergebnisse zur Reliabilität bestimmt, die auf eine gute bis exzellente Test-Retest-Reliabilität hindeuten.
Validität: Der Summenwert des Instruments (KERF-40+ Sum) korreliert mit dem CTQ zu r = .83.
Normen: Das Verfahren ist nicht normiert.
Testkonzept
Theoretischer Hintergrund
Belastende Kindheitserfahrungen stellen einen wichtigen Risikofaktor für die psychische Gesundheit dar (Teicher, Gordon, & Nemeroff, 2022). Sie gehen mit einem höheren Erkrankungsrisiko, stärkerer Symptomlast und ungünstigeren Krankheitsverläufen einher (beispielsweise Schalinski et al., 2019; Nanni, Uher, & Danese, 2012; Teicher & Samson, 2013). Darüber hinaus sind belastende Kindheitserfahrungen auch relevant für die lebenslange körperliche Gesundheit (beispielsweise Felitti et al., 1998). Bislang gibt es wenige Instrumente, welche neben verschiedenen Erfahrungstypen auch den Zeitpunkt der Exposition erfassen (Fosse et al., 2020; Isele et al., 2014; Teicher & Parigger, 2015). Das KERF-40 Interview (KERF-40-I) wurde ausgehend von der US- amerikanischen Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure scale (MACE Skala; Teicher & Parigger, 2015) und dessen deutschsprachiger Version, dem KERF- Interview (Isele et al., 2014) als strukturiertes Interview entwickelt, das retrospektiv zehn verschiedene Typen von belastenden Kindheitserfahrungen sowie das Alter zum Zeitpunkt der Exposition dokumentiert und in der Auswertung berücksichtigt. In der psychotherapeutischen Praxis hilft das Instrument im Zuge der Anamneseerhebung einerseits Wurzeln von Symptomen zu klären und andererseits bei der Bearbeitung traumatischen Erlebens. In der Forschung werden Fragestellungen im Hinblick auf sensitive Phasen in der Entwicklung ermöglicht, die bei Entstehung einer psychischen Störung und ihrer neurobiologischen Auffälligkeiten wesentlich sind (siehe z. B. Teicher, Samson, Anderson, & Ohashi, 2016; Schalinski, Teicher & Rockstroh, 2019).
Testaufbau
Das KERF-40-I besteht aus einführenden Fragen und sechs Frageblöcken zur Erfassung von verschiedenen Belastungserfahrungen in der Kindheit. Die Belastungserfahrungen werden im KERF-40-I in zehn Subskalen/-typen aufgeteilt (siehe Tabelle 1 unter „Testkonstruktion“). Details zu den Subskalen des Instruments finden Sie in der Sektion Testkonstruktion. Die insgesamt 40 Fragen zu belastenden Kindheitserfahrungen beziehen sich, in separaten Frageblöcken sortiert, auf Erlebnisse mit Eltern, anderen im Haushalt lebenden erwachsenen Bezugspersonen, Geschwistern, Gleichaltrigen und anderen, nicht im Haushalt lebenden Erwachsenen. Insgesamt 14 Fragen werden separat in Bezug auf Erlebnisse mit unterschiedlichen Bezugsgruppen kodiert, beispielsweise KERF-40 Item 1A („Beschimpfte(n) Eltern Sie oder sagte(n) sie verletzende Dinge zu Ihnen?“) und KERF-40 Item 1B („Beschimpfte(n) Geschwisterkinder Sie oder sagte(n) sie verletzende Dinge zu Ihnen?“). Damit stehen aus den 40 Fragen insgesamt 54 Items zur Konstruktion zur Verfügung. Alle Items werden mit binären Antworten kodiert (1 = ja; 0 = nein). Für die gemachten Erfahrungen wird die Person gebeten, das zutreffende Alter anzugeben. Der Expositionszeitpunkt wird mittels 18 binären Items (erste 18 Lebensjahre) erfasst. Vier Items (Item 35, 38, 39, und 40) liegen in umgekehrter Form vor (z. B. Item 38: „Gab ein Elternteil oder eine elternähnliche Bezugsperson stets auf Sie acht und beschützte Sie?“). Die Umkehr erfolgt über die zeitabhängigen Angaben: Wurde mindestens für ein Alter das Item nicht gekennzeichnet, wird das Gesamtitem Item 38* als vorliegend kodiert.
Auswertungsmodus
Für die klinische Psychodiagnostik ist insbesondere die auf Itemebene gewonnene Information zu berücksichtigen. Daneben können die Subskalen von Interesse sein. Dazu werden die 54 Items inhaltlich zehn verschiedenen Bereichen zugeordnet. Die in der Auswertung berücksichtigten Items aus dem KERF-40-I werden als KERF-40+ bezeichnet.
Vor allem für Forschungszwecke erfolgt die weitere Auswertung über drei globale Kennwerte (KERF-40+ Sum, KERF-40+ Multiplicity, KERF-40+ Duration) und die jeweiligen altersabhängigen Werte. Zur Bewertung der Schwere der Subtypen werden die Rohwerte (Anzahl der vorliegenden Items pro Subtyp) interpoliert und gewichtet, so dass der Schwerewert zwischen 0 und 10 liegt. Der Summenwert über alle Schwerewerte der zehn Subskalen wird als „KERF-40+ Sum“ bezeichnet und misst die Gesamtschwere der belastenden Kindheitserfahrungen gemäß dem Instrument (potenzieller Range: 0 bis 100). Weiterhin wurde jeder Subskala ein Schwellenwert zugeordnet, welcher eine Exposition mit dem Erfahrungstypen/der Subskala gemäß der Konzeption des Instruments kennzeichnet (zwischen mindestens 1 bis 3 vorliegenden Items der Skala; vergleiche Tabelle 1). Die Anzahl der zutreffenden Subskalen, also die Breite belastender Kindheitserfahrungen, wird durch den Multiplizitätswert erfasst („KERF-40+ Multiplicity“) und rangiert zwischen 0 und 10. Darüber hinaus können alle Werte jeweils in Abhängigkeit des Zeitpunkts ausgewertet werden. In der psychometrischen Validierungsarbeit (Seitz et al., 2022) wurde der Zeitpunkt mit 0 bis 17 Jahre erhoben, während in dem Interview die Zeitangaben mit 1-18 kodiert werden. Die Dauer der Exposition („KERF-40+ Duration“) wird operationalisiert durch das Vorliegen mindestens eines Subtypens je Alterszeitpunkt und rangiert zwischen 0 und 18 Jahren.
Für die Auswertung wird eine SPSS-Rohdatendank und eine Syntax-Datei zur Verfügung gestellt. Zudem gibt es eine Excel-Tabelle, die eine Auswertung der Subtypen ermöglicht sowie die globalen Kennwerte KERF-40+ Sum und Multiplicity errechnet.
Auswertungshilfen
Es stehen sowohl eine SPSS-Datei mit Auswertungssyntax sowie eine Excel-Datei zur Verfügung, mit deren Hilfe die differenzierte Auswertung vorgenommen werden kann. Die Zusammensetzung der Subskalen sowie Cut-off-Empfehlungen können im Detail der Validierungsarbeit (Seitz et al., 2022) entnommen werden bzw. sind in Tabelle 1 knapp zusammengefasst.
Auswertungszeit
Für die differenzierte Auswertung mit der zur Verfügung gestellten SPSS-/Excel-Datei werden für die Dateneingabe ungefähr 10 Minuten benötigt.
Itembeispiele
Im Folgenden werden einzelne Beispielitems pro Frageblock aus dem KERF-40-I dargestellt. Der Text in den eckigen Klammern wurde ergänzt, um die Bezugsgruppe zu verdeutlichen.
Im ersten Block werden Fragen zu Erfahrungen zu „Selbst erlebter emotionaler, körperlicher und sexueller Gewalt durch Eltern oder Geschwister“ gestellt.
Item 1A: „Beschimpfte(n) [ihre Eltern] Sie oder sagte(n) sie verletzende Dinge zu Ihnen, wie Sie seien “dick”, “hässlich”, “dumm”, usw., und zwar mehr als nur wenige Male im Jahr?“
Item 1B: „Beschimpfte(n) [ihre Geschwister] Sie oder sagte(n) sie verletzende Dinge zu Ihnen, wie Sie seien “dick”, “hässlich”, “dumm”, usw., und zwar mehr als nur wenige Male im Jahr?“
Im zweiten Block werden Fragen zur selbst erlebten sexuellen Gewalt durch nicht im Haushalt lebende Erwachsene gestellt.
Item 13: „Berührte(n) oder begrabschte(n) sie Ihren Körper auf eine sexuelle Art und Weise?“
Im dritten Block werden Fragen in Bezug auf „Bezeugte Gewalt der Eltern gegenüber den Geschwistern“ gestellt.
Item 16: „Haben Sie miterlebt, wie Ihren/m Geschwister(n)/mit im Haushalt lebende(m/n) Kind(ern) angedroht wurde(n), sie/ihn zu verletzen?“
Im vierten Block wird „Bezeugte körperliche Gewalt zwischen den Eltern“ erfasst.
Item 22: „Haben Sie miterlebt, wie mit im Haushalt lebende Erwachsene Ihre Mutter /andere mit im Haushalt lebende Frau(en) schubsten, packten, ohrfeigten, traten oder Dinge nach ihr/ihnen warfen?“
Item 24: „Haben Sie miterlebt, wie mit im Haushalt lebende Erwachsene Ihren Vater /anderen mit im Haushalt lebende(n) Mann (Männer) schubsten, packten, ohrfeigten, traten oder Dinge nach ihm/ihnen warfen?“
Im fünften Block wird „Selbst erlebte emotionale, körperliche oder sexuelle Gewalt durch Gleichaltrige oder Partner“ erfragt.
Item 26: „Beschimpfte(n) sie Sie oder sagte(n) sie verletzende Dinge zu Ihnen, wie Sie seien “dick”, “hässlich”, “dumm”, usw., und zwar mehr als nur wenige Male im Jahr?“
Im sechsten Block werden Fragen zu „Körperlicher und emotionaler Vernachlässigung gestellt“, Item 33: „Gab es eine Zeit in der weder Ihre Mutter noch Ihr Vater (oder andere Hauptbezugspersonen/elternähnliche Personen) versuchte Ihre Gefühle zu verstehen und für Sie da zu sein?“
Item 35: „Brachte Sie ein Elternteil oder eine elternähnliche Bezugsperson stets zum Arzt, falls es nötig war?“
Items
Einzelne Beispielitems sind unter „Itembeispiele“ angeführt. Detaillierte Informationen zu den einzelnen Items entnehmen Sie bitte dem Instrument.
Durchführung
Testformen
Das KERF-40-I ist nach der Idee eines strukturierten Interviews für die retrospektive Erhebung von belastenden Kindheitserfahrungen bei erwachsenen Einzelpersonen konzipiert worden. Es wurde in Anlehnung an den MACE (US-amerikanische Ursprungsversion von Teicher & Parigger, 2015) bzw. dessen deutschsprachiger Übersetzung das KERF- Interview (Isele et al., 2014) entwickelt. Für den MACE liegen auch eine norwegische und eine chinesische Version vor (Fosse et al., 2020; Chen, Wang, Zheng, Wu, & Zhu, 2022). Das KERF-40-I hat jedoch im Vergleich zu dem MACE/KERF-I eine andere Subskalenstruktur und erfasst zudem Belastungserfahrungen durch Geschwisterkinder.
Altersbereiche
Das KERF-40-I ist für die retrospektive Befragung von erwachsenen Personen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr entwickelt worden.
Durchführungszeit
Für das Interview werden ca. 20-60 Minuten benötigt. Die Durchführungszeit ist abhängig von der Anzahl verschiedener Belastungserfahrungen und dem Umfang der Zeitpunkte der Exposition: Je mehr Erfahrungen eine Person berichtet, desto länger dauert das Interview in der Regel.
Material
Sie benötigen für die Erhebung das KERF-40-I und die vorliegende Verfahrensdokumentation. Die Auswertung kann händisch erfolgen oder mit der beigefügten Excel-Datei (ohne zeitabhängige Auswertung) bzw. SPSS-Datei und -Syntax (vollständige Auswertung).
Instruktion
Im Folgenden werden Instruktionsanweisungen vorgegeben:
Klären Sie die Person über den Inhalt und das Ziel der Untersuchung auf. Es geht darum, zu explorieren, welche interpersonellen, belastenden Erfahrungen in Kindheit und Jugend gemacht wurden und wann das war. Erörtern Sie vorab, dass es während des Interviews und im Nachgang zu belastenden Emotionen oder Erinnerungen kommen kann. Machen Sie transparent, dass Sie, um die Belastung für die befragte Person möglichst gering zu halten, während des Interviews nicht vertieft in die Erzählungen zu den einzelnen Ereignissen einsteigen werden. Achten Sie auf die emotionale Belastung während des Interviews. Unterstützen und gewährleisten Sie eine ausreichend gute Emotionsregulation. Das Erheben der Information bezüglich des Zeitpunktes der Erfahrung, also eine Fokussierung auf die Kontext-Faktenebene, kann unmittelbar dazu beitragen und dazu genutzt werden, stärkere emotionale Reaktionen während des Interviews vorzubeugen und abzuschwächen.
Lesen Sie die einleitenden Worte vor „Manchmal kann das Leben hart und traurig und das Verhalten anderer Menschen gemein oder verletzend sein. Im Folgenden möchten wir Sie gerne zu belastenden Erfahrungen befragen, die Sie jemals in Ihrer Kindheit und Jugend (den ersten 18 Lebensjahren) gemacht haben…“. Gehen Sie das Beispiel gemeinsam durch.
Bitte stellen Sie die Fragen so, wie sie in dem Interview aufgeführt sind. Unterstützen Sie ggf. die Person in der Rekonstruktion der Antwort. Beispielsweise berichtet die Person, dass sie körperliche Gewalt durch elterliche Bezugspersonen erlebt hat (im Alter von 12 Jahren), obwohl sie bereits zu diesem Zeitpunkt in einem Heim gelebt hat (möglicherweise bestand Kontakt zu den Eltern, möglicherweise beziehen sich die Angaben auf die Bezugspersonen im Heim). Beachten und vermeiden Sie mögliche Verzerrungen durch Interviewer-Effekte wie z.B. Suggestibilität. Mit Hilfe der einführenden Fragen zum Instrument können Kenntnisse über die familiäre Konstellation sowie zum Wohn- und Lebensumfeld in Kindheit und Jugend herausgearbeitet werden.
Durchführungsvoraussetzungen
Das Interview ist für psychotherapeutisch und oder psychodiagnostisch tätige Berufsgruppen konzipiert. Unter „Instruktionen“ finden sich weitere Informationen zur Durchführung.
Testkonstruktion
Die 54 Items wurden inhaltlich zehn verschiedenen Typen zugeordnet und mittels einfachen Raschmodellen modelliert. Die in der Auswertung berücksichtigten Items aus dem KERF-40-I werden als KERF-40+ bezeichnet. Ausführliche Informationen zur Konstruktion der einzelnen Subskalen und psychometrischen Kennwerten können in der Publikation von Seitz und Kolleg/-innen (2022) nachgelesen werden. Für die Konstruktion der Subskalen wurden sowohl inhaltliche Aspekte als auch Item-Fit-Statistiken herangezogen. Zudem wurde die Item-Zusammensetzung mittels Andersen Anpassungstest mit den Splitkriterien Alter und Geschlecht durchgeführt (siehe Seitz et al., 2022). Insgesamt wurden für die folgenden zehn Subtypen Raschmodelle identifiziert: Emotionale Gewalt durch Eltern, Körperliche Gewalt durch Eltern, Körperliche und emotionale Gewalt durch Geschwisterkinder, Emotionale Vernachlässigung, Körperliche Vernachlässigung, Bezeugte Gewalt zwischen Eltern, Bezeugte Gewalt an Geschwisterkinder, Körperliche und Emotionale Gewalt durch Gleichaltrige, Sexuelle Gewalt durch im Haushalt lebende Personen und Sexuelle Gewalt durch andere, nicht im Haushalt lebende Personen. Jedem Typen von belastenden Kindheitserfahrungen wurden zwischen 4 bis 7 Items zugeordnet (siehe Tabelle 1).
In der Tabelle 1 sind nach Seitz et al. (2022) die zehn Subskalen (englische und deutsche Bezeichnung) und die dazugehörigen Items des KERF-40-I dargestellt, die in der Auswertung (KERF-40+) berücksichtigt werden.
Tabelle 1
Item- und Skalenzuordnung des KERF-40-I (Seitz et al., 2022)
KERF-40+ Subskalen | Anzahl der Items (Item Gewichtung) | Items | Schwellenwert für Subskala |
---|---|---|---|
Parental Emotional Abuse (PEA)/ Emotionale Gewalt durch Eltern | 5 (2) | KERF-40 1A, 2A, 3A, 4A, 5A | 3 |
Parental Physical Abuse (PPA)/ Körperliche Gewalt durch Eltern | 4 (2.5) | KERF-40 6A, 7A, 8A, 9A | 3 |
Physical and Emotional Abuse by Siblings (PEAS)/ Körperliche und emotionale Gewalt durch Geschwisterkinder | 5 (2) | KERF-40 1B, 2B, 6B, 8B, 9B | 3 |
Emotional Neglect (EN)/ Emotionale Vernachlässigung | 4 (2.5) | KERF-40 33, 34, 39*, 40* | 2 |
Physical Neglect (PN)/ Körperliche Vernachlässigung | 4 (2.5) | KERF-40 35*, 36, 37, 38* | 2 |
Witnessed Violence towards Parents (WITP)/ Bezeugte Gewalt zwischen Eltern | 4 (2.5) | KERF-40 22, 23, 24, 25 | 2 |
Witnessed Violence towards Siblings (WITS)/ Bezeugte Gewalt an Geschwisterkinder | 5 (2) | KERF-40 16, 17, 18, 19, 20 | 3 |
Physical and Emotional Abuse by Peers (PEER)/ Körperliche und Emotionale Gewalt durch Gleichaltrige | 5 (2) | KERF-40 26A, 27A, 28A, 29A, 30A | 2 |
Sexual Abuse by a Member of the Household (SEXA-H) / Sexuelle Gewalt durch im haushaltlebende Personen | 6 (1.67) | KERF-40 10A, 11A, 12A, 10B, 11B, 12B | 1 |
Sexual Abuse by Others Not Living in the Same Household (SEXA-O)/ Sexuelle Gewalt durch Andere nicht im haushaltlebende Personen | 7 (1.43) | KERF-40 13, 14, 15, 31A, 32A, 31B, 32B | 1 |
Anmerkung. * Items werden umgekehrt über die zeitabhängigen Angaben.
Die in Tabelle 2 dargestellten Mittelwerte und Standardabweichungen beziehen sich auf die heterogene Stichprobe (N = 287), die für die Testkonstruktion herangezogen wurde (Seitz et al., 2022). Diese Stichprobe besteht aus Personen mit psychischen Störungen und Personen, die unterschiedliche Belastungserfahrungen in der Kindheit erfahren haben, jedoch keine psychische Störung entwickelt haben.
Tabelle 2
Mittelwerte und Standabweichungen der heterogenen Stichprobe, die für die Testkonstruktion herangezogen worden ist (Seitz et al., 2022)
Subskalen der KERF-40+ | M (SD) | n (%) |
---|---|---|
Parental Emotional Abuse (PEA) | 4.33 (3.16) | 136 (47.4%) |
Parental Physical Abuse (PPA) | 4.42 (3.59) | 93 (32.4%) |
Physical and Emotional Abuse by Siblings (PEAS) | 1.32 (2.44) | 27 (9.4%) |
Emotional Neglect (EN) | 4.37 (3.91) | 146 (50.9%) |
Physical Neglect (PN) | 1.77 (2.65) | 59 (20.6%) |
Witnessed Violence towards Parents (WITP) | 1.45 (2.38) | 50 (17.4%) |
Witnessed Violence towards Siblings (WITS) | 2.54 (3.33) | 68 (23.7%) |
Physical and Emotional Abuse by Peers (PEER) | 4.40 (3.52) | 129 (44.9%) |
Sexual Abuse by a Member of the Household (SEXA-H) | 0.41 (1.27) | 35 (12.2%) |
Sexual Abuse by Others Not Living in the Same Household (SEXA-O) | 1.02 (1.66) | 104 (36.2%) |
Globale Werte der KERF-40+ | M (SD) | |
KERF Sum | 26.01 (16.93) | |
KERF Multiplicity | 2.95 (2.30) | |
KERF Duration | 9.04 (6.63) |
Gütekriterien
Objektivität
Die/der Interviewer/-in sollte die Fragen so stellen, wie sie in dem Instrument aufgeführt sind, um die binären Antworten der Person möglichst objektiv zu erheben.
Reliabilität
In einer kleinen Teilstichprobe von n = 14 untersuchten Personen wurde das KERF-40-I Interview wiederholt, um vorläufige Angaben zur Test-Retest-Reliabilität zu erheben. Der Summenwert der KERF-40+ („KERF-40+ Sum“) der Erstmessung korrelierte mit dem Wert der Zweitmessung mit Spearman’s Rho ρ =.88. Die Korrelation für den Multiplizitätswert (KERF-40+ Multiplicity, Breiteindikator) liegt bei Spearman’s Rho ρ = .91, während die Korrelation für die Dauer der Exposition (KERF-40+ Duration) bei Spearman’s Rho ρ =.74 liegt. Für die einzelnen Typen von belastenden Kindheitserfahrungen rangierten die Korrelationen zwischen Spearman’s Rho ρ =.55 für Emotionale Vernachlässigung bis zu Spearman’s Rho ρ = 1.00 für Sexuelle Gewalt durch im Haushalt lebende Personen (Seitz et al., 2022).
Validität
Die konvergente Validität wurde mithilfe des Childhood Trauma Questionnaires (CTQ; Bernstein et al, 1998; deutsche Version von Wingenfeld et al., 2010) erhoben. Der Summenwert KERF-40+ Sum korreliert hoch mit dem CTQ zu r = .83. Insgesamt liegt eine exzellente Validität vor (Seitz et al., 2022).
Die relative prädiktive Validität wurde mit Korrelationen zwischen den globalen Kennwerten der KERF-40+ und Psychopathologiewerten evaluiert (Brief Symptom Inventory (BSI; Franke, 2000), Beck Depression Inventory, revised version (BDI-II; Beck, Steer, & Brown, 1996; Hautzinger, Keller, & Kühler, 2006); PTSD Checklist for DSM-5 (Krüger-Gottschalk et al., 2017), Fragebogen für dissoziative Symptome (Freyberger et al., 1998)). Die Korrelationen zwischen den globalen Kennwerten der KERF-40 + (Sum, Multiplicity und Duration) und der Psychopathologie lagen zwischen .24 ≤ r ≤ .45. Die Korrelationen mit verschiedenen Indikatoren für Psychopathologie sind weitgehend vergleichbar zwischen globalen Kennwerten der KERF-40+ und des CTQ. Ausführliche Informationen zur Psychometrie finden sich in Seitz et al. (2022).
Normierung
Das Verfahren ist nicht normiert.
Anwendungsmöglichkeiten
Belastende Kindheitserfahrungen sind epidemiologisch weit verbreitet (Iffland et al., 2013). Die Thematik ist Gegenstand intensiver psychologischer Forschung. Aufgrund der bisherigen Evidenz zu belastenden Kindheitserfahrungen und den vielfältigen Auswirkungen (Teicher, & Samson, 2013; Teicher, Gordon, & Nemeroff, 2022) sollte bei Personen mit psychischen Erkrankungen eine Exploration belastender Kindheitserfahrungen in der Routinediagnostik erfolgen, insbesondere bei Patient/-innen mit positiver Kindheitstraumaanamnese. Das KERF-40-I kann sowohl in der Forschung als auch in der klinischen, psychotherapeutischen Praxis eingesetzt werden. Vorteile sind die umfangreiche Erhebung und Berücksichtigung von zehn verschiedenen Typen von belastenden Kindheitserfahrungen- inklusive des Zeitpunkts. Ein Nachteil des KERF-40-I ist der zeitliche Aufwand des Interviews.
Bewertung
Belastende Kindheitserfahrungen sind weit verbreitet (Iffland et al., 2013) und stellen einen wichtigen Risikofaktor für die psychische Gesundheit dar (Teicher, Gordon, & Nemeroff, 2022). Sie sind mit höherem Erkrankungsrisiko, stärkerer Erkrankungsschwere und ungünstigeren Krankheitsverläufen assoziiert (z. B. Felitti et al., 1998; Teicher & Samson, 2013). Bislang gibt es wenige Instrumente, welche neben verschiedenen Typen auch den Zeitpunkt der Exposition erfassen (Isele et al., 2014; Teicher & Parigger, 2015).
Erstmals publiziert in:
Isele, D., Teicher, M. H., Ruf-Leuschner, M., Elbert, T., Kolassa, I. T., Schury, K., & Schauer, M. (2014). KERF - Ein Instrument zur umfassenden Ermittlung belastender Kindheitserfahrungen: Erstellung und psychometrische Beurteilung der deutschsprachigen MACE (Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure) Scale. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 43(2), 121-130. PSYNDEX Dok.-Nr. 0281272
Literatur
Beck, A. T., Steer, R. A., & Brown, G. K. (1996). Beck Depression Inventory (BDI-II), revised version. London, UK: Pearson.
Bernstein, D. P., Fink, L., Handelsman, L., & Foote, J. (1998). Childhood Trauma Questionnaire. Assessment of family violence: A handbook for researchers and practitioners. [Database record]. APA PsycTests. https://doi.org/10.1037/t02080-000
Chen, Y., Wang, Z., Zheng, X., Wu, Z., & Zhu, J. (2022). The Chinese version of the Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure (MACE) scale: Psychometric properties in a sample of young adults. PLoS one, 17(6), e0270709. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0270709
Felitti, V. J., Anda, R. F., Nordenberg, D., Williamson, D. F., Spitz, A. M., Edwards, V. et al. (1998). Relationship of childhood abuse and household dysfunction to many of the leading causes of death in adults: The Adverse Childhood Experiences (ACE) Study. American Journal of Preventive Medicine, 14(4), 245-258.
Fosse, R., Skjelstad, D. V., Schalinski, I., Thekkumthala, D., Elbert, T., Aanondsen, C. M., ... & Jozefiak, T. (2020). Measuring childhood maltreatment: Psychometric properties of the Norwegian version of the Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure (MACE) scale. PloS one, 15(2), e0229661. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0229661 PSYNDEX Dok.-Nr. 0371139
Franke, G., H. (2000). Brief Symptom Inventory von L. R. Derogatis (Kurzform der SCL-90-R) - Deutsche Version. Manual. Göttingen: Beltz. PSYNDEX Dok.-Nr. 9003761
Freyberger, H. J., Spitzer, C., Stieglitz, R. D., Kuhn, G., Magdeburg, N., & Bernstein-Carlson, E. (1998). Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (FDS). Deutsche Adaptation, Reliabilität und Validität der amerikanischen Dissociative Experience Scale (DES). Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 48(6), 223-229. PSYNDEX Dok.-Nr. 0121867
Hautzinger, M., Keller, F. & Kühler, C. (2006). Das Beck Depressionsinventar II. Deutsche Bearbeitung und Handbuch zum BDI II. Frankfurt am Main: Harcourt Test Services.
Iffland, B., Brähler, E., Neuner, F., Häuser, W., & Gleaesmer, H. (2013). Frequency of child maltreatment in a representative sample of the German population. BMC Health Public, 13(980). PSYNDEX Dok.-Nr. 0274951
Isele, D., Teicher, M. H., Ruf-Leuschner, M., Elbert, T., Kolassa, I. T., Schury, K., & Schauer, M. (2014). KERF - Ein Instrument zur umfassenden Ermittlung belastender Kindheitserfahrungen: Erstellung und psychometrische Beurteilung der deutschsprachigen MACE (Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure) Scale. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 43(2), 121-130. https://dx.doi.org/10.1026/1616-3443/a000257 PSYNDEX Dok.-Nr. 0281272
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Rückmeldeformular
Rückmeldung über die Anwendung eines Verfahrens aus dem Testarchiv des Leibniz-Instituts für Psychologie (ZPID) an die Testautoren/-innen
Kontaktdaten
Prof. Dr. Inga Schalinski, Klinische Psychologie und Traumatherapie, Universität der Bundeswehr München, Fakultät für Humanwissenschaften, Institut für Psychologie, Werner-Heisenberg-Weg 39, D-85577 Neubiberg
Dr. Dorothea Thekkumthala, Narrative Expositionstherapie, Akademie für Wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Konstanz e.V., Universitätsstraße 10, D-78457 Konstanz, vivo international e.V., Postfach 5108, D-78430 Konstanz
PD Dr. Maggie Schauer, Universität Konstanz, FB Psychologie, Kompetenzzentrum Psychotraumatologie am Zentrum für Psychiatrie, Haus 22, EG, D-78479 Reichenau-Lindenbühl
Dr. Martina Ruf-Leuschner, Psychiatrische Dienste Thurgau, Seeblickstrasse 30, CH-8596 Münsterlingen, Schweiz
Sarah Gerhardt, M.Sc., Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, J5, D-68159 Mannheim
Claudius von Schroeder, M.A., Experimental Psychologist, Department of Psychiatry and Psychotherapy, Department of Neuroimaging, Core Facility ZIPP, Central Institute of Mental Health, J 5, D-68159 Mannheim