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Gülay Karadere (Dipl.-Psych.)
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Nachweise und Beschreibungen weiterer Testverfahren bei PubPsych
RDI
Reaction to Diagnosis Interview – deutsche Fassung
Kurzabstract
Das aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte Reaction to Diagnosis Interview (RDI) ist ein halbstrukturiertes Interview, welches zur Erfassung der Behinderungs- oder Krankheitsverarbeitung von Eltern mit chronisch erkranktem oder geistig/körperlich behindertem Kind dient. Es basiert auf dem Adult Attachment Interview nach George, Kaplan und Main (1985). Das auf Video aufgezeichnete Interview umfasst fünf Fragen, die bei Bedarf wiederholt werden können. Zur Auswertung dient das RDI-Handbuch. Reliabilität: Keine Angaben. Die Interraterreliabilität liegt bei 91.9 % (Cohens Kappa = 0.83 bei p < 0.01), die der Einschätzung des Subtyps bei 75.7 % (Cohens Kappa = 0.71 bei p < 0.01). Validität: Keine Angaben.
Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID). (2020). Open Test Archive: RDI. Reaction to Diagnosis Interview – deutsche Fassung. Verfügbar unter: https://www.testarchiv.eu/de/test/9007985
Zitierung
Paul, O. (2020). RDI. Reaction to Diagnosis Interview – deutsche Fassung [Verfahrensdokumentation, Interviewleitfaden und Handbuch]. In Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID) (Hrsg.), Open Test Archive. Trier: ZPID.
https://doi.org/10.23668/psycharchives.4492
Kurzinformationen
Kurzname RDI
Engl. Name Reaction to Diagnosis Interview – German version
Autoren Paul, O.
Erscheinungsjahr im Testarchiv 2020
Copyright/Lizenz Copyright Autor; CC-BY-SA 4.0
Schlagworte Eltern, Eltern-Kind-Beziehungen, körperliche Krankheit (Einstellungen gegenüber), körperliche Behinderungen (Einstellungen gegenüber), Musiktherapie, Bindungsverhalten, emotionale Zustände
Sprachversionen deu
Konstrukt Behinderungs- oder Krankheitsverarbeitung
Altersbereich erwachsene Eltern behinderter oder chronisch erkrankter Kinder
Itemzahl 5 Items
Subskalen Keine; Behinderungs- oder Krankheitsverarbeitung; Subtyp
Durchführungszeit 10-15 Min.
Auswertungsdauer ca. 0,5-1 Stunde
Keine Angaben. Interraterreliabilität: 91.9 % (Cohens Kappa = 0.83 bei p < 0.01); Subtyp: 75.7 % (Cohens Kappa = 0.71 bei p < 0.01).
Keine Angaben.
Keine Angaben.
Anwendungsbereich Forschung, Beratung, Psychoonkologie
Diagnostische Zielsetzung
Das Reaction to Diagnosis Interview (RDI) ist ein 15-minütiges, halbstrukturiertes Interview, mit dem die Behinderungs- oder Krankheitsverarbeitung von Eltern untersucht werden kann, bei deren Kind eine chronische Erkrankung oder Behinderung diagnostiziert wurde.
Aufbau
Mit dem RDI lässt sich der Auflösungsstatus von Eltern feststellen, bei deren Kind eine Behinderung oder chronische Erkrankung diagnostiziert wurde. Darüber hinaus wird im Test ein Subtyp erfasst. Im Interview werden fünf Fragen gestellt, die bei Bedarf wiederholt werden. Die Interviews werden videografiert und im Anschluss mit Hilfe des Handbuchs zum Reaction to Diagnosis Interview ausgewertet. Dort werden die Kriterien erklärt, wie die primäre Klassifikation des Auflösungsstatus vorzunehmen ist, und die Festlegung des Subtyps (insgesamt neun Subtypen) wird erläutert.
Grundlagen und Konstruktion
Das Handbuch zum RDI wurde aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Der Test baut auf der Bindungstheorie auf und orientiert sich methodisch an dem Adult Attachment Interview nach George, Kaplan und Main (1985), mit dem Bindungseinstellungen und -erfahrungen von Erwachsenen untersucht werden können.
Empirische Prüfung und Gütekriterien
Angaben zur Reliabilität und Validität fehlen. Es liegen jedoch Angaben zur Interraterreliabilität: In der Studie von Paul (2019) besteht bei der primären Klassifikation eine Interraterreliabilität von 91.9 % (Cohens Kappa = 0.83 bei p < 0.01), bei der Einschätzung des Subtyps eine Interraterreliabilität von 75.7 % (Cohens Kappa = 0.71 bei p < 0.01).
Testkonzept
Theoretischer Hintergrund
Das Reaction to Diagnosis Interview (RDI; Paul, 2019) ist ein 15-minütiges, halbstrukturiertes Interview, mit dem die Behinderungs- oder Krankheitsverarbeitung von Eltern untersucht werden kann, bei deren Kind eine Behinderung oder chronische Erkrankung diagnostiziert wurde. Den theoretischen Hintergrund des RDIs bildet die Bindungstheorie, wonach Eltern durch eine Phase der Trauer gehen, wenn sie eine Bindungsperson innerhalb ihres Bindungssystems verlieren. Vor diesem Hintergrund führt die Diagnose einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung des eigenen Kindes zu einer potenziellen Traumatisierung der betroffenen Eltern. Ein Teil dieser Eltern verarbeitet die Diagnose mit einer weitgehenden Auflösung ihrer Traumatisierung, während die Auflösung bei dem anderen Teil der Betroffenen fehlt. Mit dem Test lässt sich dieser Auflösungsstatus der betroffenen Eltern feststellen.
Testaufbau
Das Interview besteht aus einer Reihe von Fragen, die die Erinnerungen, Überzeugungen und emotionalen Reaktionen auf die Diagnosemitteilung ermitteln sollen. Mit insgesamt fünf Fragen werden folgende Subtypen unterschieden:
Subtypen mit Auflösung sind:
A.1. Emotionsorientierung
A.2. Handlungsorientierung
A.3. Kognitive Orientierung.
Die Subtypen ohne Auflösung sind:
B.1. Emotionale Überwältigung
B.2. Wut/Projektion
B.3. Emotionale Abschottung
B.4. Depression/Passivität/Resignation
B.5. Wahrnehmungsverzerrungen
B.6. Desorganisation/Verwirrung/Verstrickung
Auswertungsmodus
Die Auswertung erfolgt in zwei Schritten.
(1) Die Interviews mit den Elternteilen werden videografiert und im Anschluss mit Hilfe des Handbuchs zum Reaction to Diagnosis Interview ausgewertet. Als primäre Klassifikation erfolgt eine Einschätzung des Auflösungsstatus der interviewten Elternteile.
(2) Im Anschluss daran ist mit Hilfe des Handbuchs eine weitere Klassifikation in insgesamt neun Subtypen möglich.
Auswertungshilfen
Als Auswertungshilfe steht das Handbuch zum Reaction to Diagnosis Interview zur Verfügung mit zahlreichen anschaulichen Beispielen und Elternzitaten, die eine Einschätzung des Auflösungsstatus und Subtyps ermöglichen.
Auswertungszeit
Pro videografiertes Interview ist von einer Auswertungszeit von ca. 0,5-1 Stunde auszugehen.
Itembeispiele
- Wann ist Ihnen zum ersten Mal der Verdacht gekommen, dass es Probleme in der Entwicklung von [Name des Kindes] geben könnte? [tiefergehend nach Details fragen!]
Items
1. Wann ist Ihnen zum ersten Mal der Verdacht gekommen, dass es Probleme in der Entwicklung von [Name des Kindes] geben könnte? [tiefergehend nach Details fragen!]
2. Welche Gefühle hatten Sie, als Sie dies bemerkten?
3. Haben sich diese Gefühle mit der Zeit verändert?
4. Könnten Sie mir bitte ganz genau sagen, was an dem Tag passiert ist, als Ihnen [Name des Kindes] Diagnose mitgeteilt wurde: Wo waren Sie? Wer war da noch? Was haben Sie da gedacht und was gefühlt? [Wenn hinsichtlich der Gefühle neues Material zum Vorschein kommt, wird die Frage 3 wiederholt.]
5. Manchmal fragen sich Eltern oder sie machen sich Gedanken, warum sie ein Kind mit besonderem Förderbedarf haben. Machen Sie sich auch solche Gedanken? [hier ggf. weitere Hinweise geben: Manche Eltern haben das Gefühl, dass sie etwas zu dem Zustand ihres Kindes beigetragen haben könnten. Andere denken, dass Gott einen Beweggrund dafür hatte, ihnen dieses Kind zu schenken. Welche Gedanken machen Sie sich? Oder: Manche Eltern denken: "Warum ausgerechnet ich?"]
Durchführung
Testformen
Die Interviews werden einzeln mit den betroffenen Elternteilen durchgeführt und dabei videografiert.
Altersbereiche
Zielgruppe sind erwachsene Eltern behinderter oder chronisch erkrankter Kinder. Ansonsten gibt es keine Alterseinschränkungen.
Durchführungszeit
Von den US-amerikanischen Entwicklern des Tests, Pianta und Marvin (1993), wird eine Durchführungszeit von 10 bis 15 Minuten angegeben. Die Interviews in der Studie von Paul (2019) dauerten im Durchschnitt 13 min 18 s Minuten.
Material
Im Handbuch zum Reaction to Diagnosis Interview finden sich der Interviewleitfaden sowie umfangreiche Hinweise zur Durchführung und Auswertung des Tests. Notwendig ist darüber hinaus ein Videogerät, empfehlenswert ein hochwertiges Diktiergerät.
Instruktion
Im Interview werden fünf Fragen gestellt, die bei Bedarf wiederholt werden.
Durchführungsvoraussetzungen
Für die Testung sind psychologische, pädagogische, sonder-/heil- oder sozialpädagogische Qualifikationen notwendig. Erfahrungen in der Elternberatung Betroffener sowie im Führen qualitativer Interviews sind empfehlenswert. Aufgrund der zu erwartenden, emotionalen Berichte der Betroffenen ist eine eingehende Auseinandersetzung mit den ethischen Implikationen der Interviewdurchführung notwendig.
Die Auswertung der videografierten Interviews sollte nicht durch die Testleiterin bzw. den Testleiter erfolgen. Ideal ist eine kleine Auswertungsgruppe, die mit Hilfe des Handbuchs zum RDI geschult wird: Die Untersucher sollten dann zunächst einzeln die Interviews ansehen und die Einschätzung der primären Klassifikation sowie des Subtyps vornehmen. In einem weiteren Schritt werden die Einzelergebnisse in der Auswertungsgruppe verglichen und bei Unstimmigkeiten diskutiert, bis für alle interviewten Elternteile eine eindeutige Festlegung gegeben ist (Stichworte: kontrollierte Subjektivität, Forschertriangulation).
Testkonstruktion
Das Handbuch zum RDI nach Pianta und Marvin (1993) wurde von Oliver Paul aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, um mit dessen Hilfe die Interviews auszuwerten, die im Rahmen des Forschungsprojekts "Wenn der Spielraum verloren geht" geführt wurden (vgl. Paul, 2019). Die Ergebnisse dieser Auswertung sind Bestandteil der Dissertation mit gleichnamigem Titel (Veröffentlichung in Vorbereitung im Reichert Verlag, Wiesbaden).
Der Test baut auf der Bindungstheorie auf und orientiert sich methodisch an dem Adult Attachment Interview nach George, Kaplan und Main (1985), mit dem Bindungseinstellungen und -erfahrungen von Erwachsenen untersucht werden können. Der Test wird als Interview durchgeführt. Im Anschluss daran wird jedes Interview mit Hilfe des Handbuchs zum RDI ausgewertet.
Gütekriterien
Objektivität
In der Studie von Paul (2019) besteht bei der primären Klassifikation eine Interraterreliabilität von 91.9 % (Cohens Kappa = 0.83 bei p < .01); bei der Einschätzung des Subtyps 75.7 % (Cohens Kappa = 0.71 bei p < .01).
In der Studie von Paul (2019) zeigen sich deutliche Übereinstimmungen zwischen der mit Hilfe von QDA-Software erstellten Codierung der elterlichen Bewältigungsstrategien mit den Ergebnissen, die eine externe (blinde) Forschergruppe mit Hilfe des RDIs erzielt hat (Methodentriangulation, Forschertriangulation).
Reliabilität
Es liegen keine Angaben vor.
Validität
Es liegen für unterschiedliche Behinderungs- und Krankheitsbilder zahlreiche Studien mit Vergleichsgruppen aus verschiedenen Ländern vor (z. B. Trisomie 21, Cerebralparese).
Normierung
Es liegen keine Angaben vor.
Anwendungsmöglichkeiten
Das Reaction to Diagnosis Interview ist der einzige Test, mit dem sich die Behinderungs- bzw. Krankheitsverarbeitung von Eltern untersuchen lässt, die ein behindertes oder chronisch erkranktes Kind haben. Mit Hilfe des Tests lassen sich vielfältige Fragestellungen beleuchten, welche Faktoren sich hier in den Familien als hilfreich oder belastend herausstellen, um die Diagnose des Kindes und deren Folgen zu verarbeiten und zu bewältigen. Nachteil der Methode ist, dass die Durchführung und Auswertung sehr aufwändig sind. Mögliche Anwender des Tests finden sich im Bereich der psychologischen und sonderpädagogischen Forschung, möglicherweise auch in weiteren Teilbereichen der Medizin wie bspw. der Psychoonkologie.
Bewertung
Das Reaction to Diagnosis Interview wurde seit seiner erstmaligen Anwendung im Jahre 1996 bis heute in über 30 internationalen Studien genutzt - 20 davon entstammen dem Zeitraum der letzten 10 Jahre. Mit dem RDI lässt sich sehr umfassend untersuchen, wie Eltern die Krankheits- oder Behinderungsdiagnose ihres Kindes verarbeitet haben, was in dieser Form in der internationalen Forschung als einzigartig zu bewerten ist. Mit der hier vorgestellten Übersetzung des Handbuchs zum RDI ist der Test nun auch in deutscher Sprache verfügbar.
Problematisch kann es sein, wenn die Ergebnisse des Tests genutzt werden, um die Eltern-Kind-Beziehung zu pathologisieren, ohne die Kompetenzen und Leistungen in den betroffenen Familien angemessen zu würdigen. Zu reflektieren sind vor der Testdurchführung darüber hinaus die ethischen Implikationen, Eltern nach ihren traumatisierten Lebenserfahrungen zu befragen: Hier sollten die interviewten Elternteile nicht bloß als Probanden betrachtet werden, sondern es ist eine einfühlende Interviewdurchführung unabdingbar.
Erstmals publiziert in:
Paul, O. (2019). Wenn der Spielraum verloren geht. Forschungsprojekt zum Belastungserleben von Eltern geistig behinderter Kinder und zum kurativen Potential der Musiktherapie. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Münster, Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik.
Literatur
George, C., Kaplan, N. & Main, M. (1985). The Adult Attachment Interview. Unpublished Manuscript. Berkley, California: Department of Psychology, University of California.
Paul, O. (2019). Wenn der Spielraum verloren geht. Forschungsprojekt zum Belastungserleben von Eltern geistig behinderter Kinder und zum kurativen Potential der Musiktherapie. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Münster, Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik.
Pianta, R. C. & Marvin, R. S. (1993). Manual for classification of the Reaction to Diagnosis Interview. Charlottesville, VA: University of Virginia, Kluge Children's Rehabilitation Center and Research Institute, Child-Parent Attachment Project.
Orginalfassung/Anderssprachlige Fassungen
Pianta, R. C. & Marvin, R. S. (1993). Manual for classification of the Reaction to Diagnosis Interview. Charlottesville, VA: University of Virginia, Kluge Children's Rehabilitation Center and Research Institute, Child-Parent Attachment Project.
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Dr. Oliver Paul, M.A., Musiktherapeut, Lehrer für Sonderpädagogik, Universität Münster, Philippistraße 2, D-48149 Münster